Präsident Iwata selbst wird befragt

 

Werte Leser der "Präsident Iwata fragt nach"-Reihe, erlauben Sie bitte, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Nagata und ich arbeite für die "Hobo Nikkan Itoi Shinbun", der Internetseite von Shigesato Itoi1. Ich habe diese von Iwata-san geführten Interviews zusammengestellt und bearbeitet. Nach einem dieser Interviews fragte Iwata-san plötzlich, ob ich nicht Lust hätte, mich für eine Sonderausgabe nur mit ihm zu unterhalten. Ich wusste damals nicht, was aus unserem Gespräch werden würde, aber das Ergebnis ist "Präsident Iwata selbst wird befragt". Dies wird die einzige Sonderausgabe der "Präsident Iwata fragt nach"-Reihe sein und wir bitten Sie dafür um Verständnis. Die nächsten Interviews werden sich um Software für die Wii-Konsole drehen (angefangen bei Wii Sports). Der nun folgende Artikel, gewissermaßen ein Zwischenspiel, ist ein bisschen länger als gewöhnlich. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen! 1Shigesato Itoi ist ein berühmter japanischer Werbetexter und Spieledesigner. Bekannt wurde er vor allem durch die Spieleserie Mother (Earthbound in den USA). Itoi sprach die Rolle des Vaters in der japanischen Fassung des Anime Mein Nachbar Totoro.

Nagata:

Wie kamen Sie auf die Idee mit den Interviews?

Iwata:

Wie ich zu Beginn der Interviews schon geschrieben habe, dachte ich, dass wir die Entwicklung der Wii-Konsole dokumentieren sollten. Mit Wii hat Nintendo die herkömmlichen Wege verlassen und eine Hardware mit dem etwas hochtrabenden Codenamen "Revolution" geschaffen - in der Hoffnung, die bisherige Spielweise zutiefst zu verändern. Dieser Weg war steinig, und wir arbeiteten oft, ohne ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Ich wollte unbedingt, dass dieser Prozess der Nachwelt erhalten bleibt. Natürlich wäre eine solche Dokumentation interessant für Leute, die wissen wollen, welche Gedankengänge sich bei der Entwicklung von Wii abspielten, aber gleichzeitig wollte ich sie den Leuten nicht aufdrängen. Deswegen stellten wir sie auf die Internetseite von Nintendo, wo jeder, der sich dafür interessiert, freien Zugriff hat. Wir dachten, das wäre das ideale Format, um über die Geschichte der Wii-Konsole und die Ideen, die in ihre Entwicklung einflossen, zu informieren.

Nagata:

Und warum wollten Sie die Interviews mit Ihren eigenen Mitarbeitern führen?

Iwata:

Einfach gesagt war ich der Ansicht, dass mich die gegenwärtige Struktur von Nintendo dazu befähigt. Da ich als Präsident an allen Entscheidungen bezüglich des Wii-Projekts beteiligt war, war ich am Besten dazu geeignet, die Leser objektiv durch die Entwicklung von Wii zu führen. Das ist zwar ungewöhnlich, passt aber zu Nintendo. Die größte Hürde war, bei den Gesprächen die Essenz herauszufiltern und in einen lesbaren, leicht verständlichen Text umzuwandeln. Das möchte ich jetzt genau erklären, also übernehmen Sie diesen Teil bitte für die Endfassung! (Lachen) Meine Reden schreibe ich normalerweise selbst, und ich fühle mich auch nicht wohl dabei, wenn jemand anderes meine Präsentationsunterlagen zusammenstellt. Bei dieser Interviewreihe jedoch hatte ich absolut keine Zeit, die Texte selbst zu bearbeiten. Außerdem fehlt mir und den anderen Interviewteilnehmern die Fähigkeit, uns immer klar und einfach auszudrücken. Deshalb reifte in mir der Entschluss, mir professionelle Hilfe für diese Interviews zu holen. Und da ich Sie bereits seit Ihrer Zeit bei einem Spielemagazin kannte und wir durch ihre Arbeit bei der "Hobo Nikkan Itoi Shimbun" in Kontakt blieben, kamen Sie mir als Erstes in den Sinn, Nagata-san.

Iwata Asks
Nagata:

Ich fühle mich geschmeichelt. (Lachen) Es war eine interessante Erfahrung.

Iwata:

Jetzt möchte ich umgekehrt mal Sie etwas fragen - wie ist es für Sie, bei den Interviews dabei zu sein?

Nagata:

Was mich am meisten überrascht hat, ist, dass Sie nicht nur detailgenau über das Wii-Projekt Bescheid wissen, sondern auch Ihre Angestellten sehr gut kennen.

Iwata:

Jetzt übertreiben Sie aber! (Lachen) Nintendo hat schließlich über 1 300 Mitarbeiter in Japan, da ist es unmöglich, jeden zu kennen.

Nagata:

Aber Sie kannten zumindest die Persönlichkeiten der Teilnehmer an diesen Gesprächen, und das schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen.

Iwata:

Nun, das kommt vielleicht daher, dass Nintendo eine relativ begrenzte Produktpalette hat. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass ich selbst aus der Entwicklung komme, und ich daher die Entwickler besser verstehe als die meisten anderen Manager.

Nagata:

Ja, diesen Eindruck habe ich auch.

Iwata:

Darüber hinaus haben wir uns beim Wii-Projekt von Anfang an alle gemeinsam den Kopf zerbrochen. Wir sahen uns den gleichen Schwierigkeiten gegenüber, wir haben wichtige Entscheidungen gemeinsam getroffen und ich habe an den verschiedenen Wendepunkten des Projekts mit wirklich vielen Leuten gesprochen, angefangen bei Takeda-san und Miyamoto-san. Die Tatsache, dass ich aktiv an der Entwicklung von Wii beteiligt war, erklärt wohl, warum meine Mitarbeiter und ich uns so gut verstehen.

Nagata:

Früher haben sie Spiele programmiert, jetzt halfen Sie bei der Entwicklung der Hardware für Wii mit. Welche Unterschiede haben Sie bei sich dabei in Bezug auf den kreativen Prozess bemerkt?

Iwata:

Die Zahl und die Art der Dinge, über die man nachdenken muss, ist nicht zu vergleichen, aber meine grundlegende Einstellung war eigentlich die gleiche. Da ich, anders als früher, keine Zeit mehr zum Programmieren habe, war ich daran auch nicht beteiligt, aber ich betrachte mich dennoch als einer der Schöpfer von Wii. Wenn ich mit den Entwicklern spreche, stehe ich nicht nur dabei, sondern beteilige mich auch an ihren Diskussionen.

Nagata:

Als Sie einmal für die “Hobo Nikkan Itoi Shinbun” mit Shigesato Itoi gesprochen haben, sagten Sie, Sie wollten nie nur Zuschauer sein.

Iwata:

Das stimmt.

Nagata:

Das Interessante und möglicherweise noch nie Dagewesene an diesen Interviews ist, dass ein an einem Projekt Beteiligter andere Beteiligte zu eben diesem Projekt befragt.

Iwata:

Das ist ein wichtiger Punkt. Ein Grund, warum ich die Interviews auf diese Weise gestalten wollte, war, dass wir so besser über das Projekt sprechen konnten, als wenn wir einen Interviewer von außen hinzugezogen hätten. Obwohl ich viel über die Entwicklung weiß und auch bei allen wichtigen Entscheidungen dabei war, höre ich hier viele interessante Dinge zum ersten Mal, einfach weil meine Interviewpartner stärker an speziellen Teilen des Projektes beteiligt waren als ich. Geschichten über die diversen Schwierigkeiten und Lösungen für Probleme oder auch darüber, wie es zu einer bestimmten Funktion kam, finde ich wirklich interessant.

Nagata:

Ja, obwohl ich nur hier saß und zuhörte, war es auch für mich sehr interessant.

Iwata:

Sie saßen recht nahe bei mir, Sie konnten aus nächster Nähe spüren, wie viel Freude mir diese Interviews bereitet haben, nicht wahr?

Nagata:

Oh ja. Sie wussten schon über die meisten Dinge, die in den Interviews zur Sprache kamen, in Grundzügen Bescheid. Wenn wir das Wii-Projekt mit einer Pflanze gleichsetzen, würde ich sagen, Sie kennen jeden Teil der Pflanze vom Boden bis hin zur Spitze. Dann stellen Sie Fragen zu den Blättern oder Blüten, und dabei wird ein Teil der Wurzel aufgedeckt. Sie schienen sich immer sehr zu freuen, wenn wir so auf etwas Unerwartetes stießen.

Iwata:

Ja, da haben Sie sicherlich Recht! (Lachen)

Nagata:

Das ging nicht nur Ihnen so, auch die Entwickler, die hier Platz nahmen, schienen es zu genießen.

Iwata:

Es mag etwas merkwürdig klingen, wenn ich das über meine eigenen Mitarbeiter sage, aber für mich sah das wie der zufriedene Gesichtsausdruck nach erfolgreicher Bewältigung einer Aufgabe aus! (Lachen)

Nagata:

(Lachen) Wahrscheinlich sehen sie so zufrieden aus, weil sie an einem Ort sind, wo Alter und Rang keine Rolle spielen und wo sie mit anderen Leuten, die die gleichen Werte teilen, an einem wichtigen Projekt arbeiten.

Iwata:

Ja, das könnte sein.

Nagata:

Normalerweise interviewe ich Spieleentwickler, wenn ihr Spiel bereits abgeschlossen ist - und zu diesem Zeitpunkt beschleicht viele von ihnen ein Gefühl der Unzufriedenheit.

Iwata:

Weil es schon veröffentlicht ist, nicht wahr?

Nagata:

Richtig. Je mehr Herzblut sie in die Entwicklung investiert haben, desto häufiger scheinen sie der Ansicht zu sein, sie hätten etwas anders machen sollen. Da ich viele Interviews mit Spieleentwicklern führe, höre ich solche Kommentare recht häufig und zufriedene Gesichter wie hier sehe ich ziemlich selten. Ich finde es sehr interessant, dass Sie alle angesichts des baldigen Verkaufstarts so aufgeregt sind, als ständen Sie kurz vor dem Zieleinlauf.

Iwata:

Das ist auf jeden Fall immer aufregend. Aber der Grund, warum alle so zufrieden waren, ist - glaube ich - der, dass die Entwicklung der Wii sich so sehr von vorherigen Hardware-Produkten unterschied.

Nagata:

Ah, ich verstehe. Sie meinen z.B. im Vergleich zum GameCube?

Iwata:

Natürlich soll das nicht im Geringsten den Wert des GameCube oder eines unserer anderen Produkte schmälern. Allerdings haben wir mit dem GameCube lediglich seine Vorgänger weiterentwickelt. Mit Wii haben wir diese Entwicklung unterbrochen und sind quasi in eine neue Dimension vorgestoßen. Dieser Sprung erfüllt uns mit Aufregung, dem Gefühl, etwas erreicht zu haben. Natürlich werden wir nach dem Verkaufsstart der Wii-Konsole Reaktionen und Kritik von unseren Kunden erhalten, die uns zeigen werden, wo wir etwas besser hätten machen können. Es gibt kein perfektes Produkt. Aber bei Wii wird die Zufriedenheit darüber, etwas so Neues und Ungewöhnliches geschaffen zu haben, den Verkaufsstart überdauern. So ist die allgemeine Stimmung hier.

Nagata:

Vielleicht ist das etwas ungeschickt formuliert, aber wenn man versucht, etwas Neues zu wagen, dann ist das doch immer auch ein Glücksspiel, oder?

Iwata:

Ja, das ist es. Wenn man etwas Neues versucht, gibt es natürlich keinerlei Garantie auf Erfolg. Es ist auch schwierig, seine Versuche damit zu verteidigen, dass man mit Sicherheit wenigstens ein bisschen Erfolg damit haben wird - denn es könnte ja genauso gut komplett fehlschlagen.

Nagata:

Das ist wahr. Doch die Leute, die wir hier interviewt haben, schienen sich davon nicht beeinflussen zu lassen.

Iwata:

Das liegt daran, dass sie diese Stufe jetzt schon lange überwunden haben.

Nagata:

Ah, ich verstehe.

Iwata:

Es kam in den Interviews schon zur Sprache, jeder hatte seine eigenen Bedenken zu Beginn des Projekts. Ich bin mir sicher, die Mitarbeiter machten sich Sorgen wegen technischer Probleme, weil sie nicht wussten, auf welches Ziel sie hinarbeiteten oder sogar, weil sie die Strategie hinter dem Projekt nicht verstanden. Es macht Angst, einen anderen Weg als der Rest einzuschlagen.

Nagata:

Natürlich.

Iwata:

Sich an den anderen zu orientieren, ist eine akzeptierte Lebensweise unserer Gesellschaft, aber man muss neue Wege beschreiten. Es ist die Firmenkultur von Nintendo, neue Wege zu fördern, aber diesmal war dieser Weg so radikal anders, dass wir gewissermaßen schon in die Gegenrichtung unterwegs waren.

Nagata:

Wenn das so ist, dann stelle ich mir vor, dass Sie am allerstärksten von der Angst, die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen, betroffen waren. Wie sind Sie selbst damit fertig geworden?

Iwata:

Vor allem hatte ich Angst davor, weiter auf althergebrachten Pfaden zu wandeln. Natürlich kann niemand mit Sicherheit sagen, wann eine Änderung erfolgen sollte. Als wir uns neu ausrichteten, konnten wir nicht sagen, wie lange es dauern würde, bis die Leute unsere Absichten verstehen würden. Ein Jahr vielleicht? Zwei, drei oder gar fünf Jahre? Aber für die bisherige Ausrichtung gab es keine Zukunft. Sie hätte nur zu Materialschlachten mit unserer Konkurrenz geführt, und wir hätten mehr und mehr Kunden verloren. Deswegen blieb nur die Möglichkeit, unseren Kurs zu ändern. Aber wir wussten nicht, wie weit wir ihn verändern können, ohne die Sympathie der Kunden zu verlieren. Doch der Weg geradeaus führte ins Nichts und uns war klar, dass es nichts bringen würde, bis zum bitteren Ende auf diesem Weg zu bleiben. Deshalb entschlossen wir uns, zu handeln. Wenn mehr Leute spielen würden, dann hätten wir eine Zukunft - das war unsere Überzeugung.

Nagata:

Ich verstehe. Sie hatten also den Kurs schon geändert, noch bevor der Nintendo DS ein so großer Erfolg wurde.

Iwata:

Ja, das war vorher. Dass der Nintendo DS so gut aufgenommen und in kürzester Zeit auch in Europa und Amerika zu einem gesellschaftlichen Phänomen werden würde, das hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht auszumalen gewagt. Das ist jetzt, wo die Wii-Konsole kurz vor der Veröffentlichung steht, auch so. Wie die Entwickler, die wir hier interviewten, wiederholt gesagt haben, gibt es eine gewisse Unsicherheit, wie die Welt auf etwas so Neues reagieren wird. Doch genau deswegen wollen wir den Leuten dieses Neue unbedingt näher bringen!

Nagata:

Jeder, den wir hier interviewt haben, sagte etwas Ähnliches. Diese gemeinsamen Werte, die übereinstimmende Denkweise in der Firma finde ich großartig.

Iwata:

Bemerkenswert, nicht wahr? In den letzten drei Jahren haben wir in dieser Hinsicht große Fortschritte gemacht.

Nagata:

Wie kam es nun konkret dazu?

Iwata:

Das ist schwer zu sagen, wir haben uns über längere Zeit Stück für Stück voranbewegt. Nur weil der Präsident einmal erwähnt, wie er die Dinge angehen möchte, heißt das nicht, dass jeder das Gesagte sofort verinnerlicht.

Nagata:

Das ist klar.

Iwata:

Die Mitarbeiter haben, nachdem ihnen die Vision von Wii immer wieder erklärt wurde, nach und nach verstanden, worauf ich abzielte und unterstützten das Projekt, sobald Teile davon verwirklicht worden waren. Der Gedanke, dass wir bestimmte Dinge tun mussten, um diese Vision zu erfüllen, sprang letzten Endes auf jeden in der Firma über. So kam es, dass wir alle die gleiche Zukunftsvorstellung teilen. Ich denke, das lag daran, dass ich diese Vision immer und immer wieder wiederholt habe.

Nagata:

Doch ständiges Wiederholen allein hätte sicher nie diese Wirkung gehabt. Denken Sie, es hat geholfen, dass Sie klare Ergebnisse ihrer Vision vorweisen konnten?

Iwata:

Es war auch ein bisschen Glück im Spiel. Selbst wenn man das Richtige tut, heißt das nicht, dass man automatisch Erfolg hat. Es ist wie der Versuch, zu erraten, was den Leuten gefällt. Das stimmt umso mehr bei einer neuen Konsole: Ob sie ein Erfolg wird oder nicht, liegt zu einem großen Teil gar nicht in unseren Händen.

Nagata:

Ja, bei "Gehirn-Jogging" z.B. war schon abzusehen, dass es Spaß machen würde, aber absolut niemand konnte vorhersagen, dass Sie 6 Millionen Exemplare verkaufen würden!

Iwata:

Aus "Das macht Spaß!" kann schnell "Es macht Spaß, aber…" werden. (Lachen) Tatsächlich war keineswegs jeder bei Nintendo der Ansicht, dass es sich gut verkaufen würde. Was ich sagen will, wir können unsere Leistung aus eigener Kraft verbessern, aber es ist unmöglich, immer einen Hit zu landen.

Nagata:

Das stimmt. Ich schweife jetzt ein wenig ab… Wenn es um "Hits landen" geht, zieht Itoi-san oft Tsurube Shofukutei2 als Beispiel heran. Der Grund, warum ihm immer so komische Dinge passieren, ist nicht, weil er ständig versucht, sich zu verbessern, sondern weil er einfach häufiger "raus aufs Spielfeld geht". Wenn jemand auf der Strasse Werbezettel verteilen würde, würde er ganz selbstverständlich einen nehmen, und wenn ihn jemand anspricht, lässt er sich immer gern auf ein Gespräch ein. 2Tsurube Shofukutei ist ein berühmter japanischer Komiker, der in erster Line dafür bekannt ist, lustige Geschichten in der Rakugo-Tradition zu erzählen.

Iwata:

Ah, ich verstehe, was Sie meinen. (Lachen)

Nagata:

Die Leute, die einfach aufs Spielfeld rausgehen, haben eine bessere Chance, ein Tor zu schießen, als die, die herumsitzen und grübeln, wie sie es am besten anstellen. Natürlich ist das eine Binsenweisheit, aber letzten Endes ist das leichter gesagt als getan. Doch wenn man ein Ziel hat, sollte man sich dem stellen und es ist wichtig, dabei hartnäckig zu bleiben. Wenn man schon nach dem ersten Fehlschlag aufgibt, erreicht man nie etwas. Hätte Miyamoto-san z.B. bei "Mario Artist: Talent Studio"3 das Konzept aufgegeben, die Spieler ihre eigenen Gesichter ins Spiel übertragen zu lassen, gäbe es heute keinen Mii-Kanal. 3Mario Artist: Talent Studio ist eine Software zum Erstellen von Animationen. Der User kann Bilder wie z.B. Gesichter importieren und damit eigene, dreidimensionale Modelle erstellen und animieren. Es wurde nur in Japan veröffentlicht, zusammen mit dem Kameramodul für das N64.

Iwata:

Richtig, ohne Miyamoto-sans Beharrlichkeit würde es den Mii-Kanal nicht geben. „Talent Studio“ war, wenn ich ehrlich bin, nicht unbedingt perfekt. Es wird beim Interview zu Wii Sports nochmals zur Sprache kommen, aber wir hatten eine Software namens "Manebito Camera", die eigentlich unter dem Namen "Stage Debut" herauskommen sollte, dann allerdings doch nicht veröffentlicht wurde. Auch da versuchte er, dieses Konzept umzusetzen. Obwohl er keinen Erfolg damit hatte, plante Miyamoto-san, diese Funktion in Wii als die bereits erwähnten "kokeshi"4 einzubauen. Ohne diese an Besessenheit grenzende Beharrlichkeit wäre ich nie darauf gekommen, dass die Alphaversion der Software für den Nintendo DS, die Vorbild für den Mii-Kanal war, genau dem entsprach, was er haben wollte, und hätte sie ihm nie gezeigt. 4Kokeshi sind traditionelle japanische Puppen aus Holz. Sie haben eine zylindrische Form ohne Arme und Beine.

Nagata:

Damit wäre Wii vielleicht jetzt ganz anders.

Iwata:

Mit Sicherheit. Es gäbe keinen Mii-Kanal, und Wii Sports würde auch völlig anders aussehen.

Nagata:

Dann hätten Fans auf der ganzen Welt nicht von einem Ohr zum anderen gegrinst, als Sie und die anderen auf der E3 miteinander Tennis gespielt haben.

Iwata:

Richtig. Ich habe es in den Interviews schon mehrmals gesagt, aber bei der Entwicklung von Wii haben wir uns nicht an einen starren Plan gehalten. Wir mussten oft improvisieren, und bis zum fertigen Produkt tappten wir bei der Lösung mancher Probleme oft im Dunkeln. Ich denke, der Grund, warum wir es dennoch geschafft haben, ist, dass wir bei aller Unsicherheit nie unser Ziel aus den Augen verloren haben.

Nagata:

Lassen Sie mich jetzt bitte eine etwas unhöfliche Frage stellen. Angenommen, Nintendo hätte, wie zu Zeiten des SNES, die führende Marktstellung - hätten Sie mit derselben Begründung wie jetzt, nämlich "Dieser Weg hat keine Zukunft", den Kurs ändern können?

Iwata:

Also… Der Kurs, auf dem wir steuerten, als wir Marktführer waren, unterscheidet sich selbstverständlich von unserem jetzigen Kurs. Auch wenn sich die Art zu Steuern ändert, als Marktführer steht man unter dem Druck, vorwärts zu gehen. Die Zeit vergeht zu schnell, und wenn man sich auf seinen Lorbeeren ausruht, ist es zu spät. Wenn man merkt, der gegenwärtige Kurs hat keine Zukunft, dann muss man auch als Marktführer den Kurs ändern, selbst wenn einem die anderen noch so oft sagen, "Du bist vorne, es gibt keinen Grund, etwas anders zu machen". Aber wie man den Kurs ändert, das hängt davon ab, ob man Marktführer ist oder nicht.

Nagata:

Vielen Dank, entschuldigen Sie bitte diese schwierige hypothetische Frage.

Iwata:

Nein, schon gut. (Lachen) Ich möchte Sie auch etwas fragen: Sie als Spielefan haben Nintendo über die Jahre hinweg beobachtet - wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung?

Nagata:

Ich bin gespannt, was kann ich anderes sagen? Gut, das ist keine so interessante Aussage... (Lachen) Ich denke, unter den Spielefans gibt es einige, die etwas beunruhigt sind.

Iwata:

Denken Sie, sie machen sich Sorgen darüber, ob wir noch Spiele machen werden, wie man sie von uns gewohnt ist?

Nagata:

Ja, genau das. Es gibt Spieler, die abends gern für sich allein spielen. Natürlich wird es Spiele wie Zelda und Mario geben, und wenn ich Ihnen so zuhöre, verstehe ich auch, dass Nintendo den harten Kern der Spieler nicht vernachlässigen will, aber...

Iwata:

Obwohl wir viel Aufwand in die Entwicklung von Mario und Zelda investieren, zeigen wir sie kaum bei den Wii-Präsentationen und sie scheinen kein wichtiger Teil unserer Strategie zu sein. Geht es darum?

Nagata:

So scheint es. Wie kann ich das ausdrücken? Ich verstehe das alles auf intellektueller Ebene. Ich denke, Sie haben Recht, wenn Sie sagen, der bisherige Weg habe keine Zukunft. Doch je mehr die Hardcore-Spieler diesen Gedanken verstehen, desto mehr fühlen sie sich davon ausgeschlossen, das ist das bizarre Dilemma dabei. Es ist keineswegs so, dass sie nicht verstehen, was sie erreichen wollen, es geht in erster Linie darum, wie sie das auf der Gefühlsebene wahrnehmen. (Lachen)

Iwata:

Es scheint da ein paar Missverständnisse zu geben. Ich bin mir dieses Problems bewusst. Wir wollen auch Leute, die keine Spiele spielen, ansprechen, aber das heißt nicht, dass wir die Spielefans ignorieren. Wenn wir es aber nicht schaffen, den Nicht-Spielern das Spielen näher zu bringen, dann wird sich die Stellung der Videospiele in der Gesellschaft nie verbessern. Spiele machen aggressiv und dumm, mit diesen und anderen Vorurteilen sind Spiele in der Gesellschaft behaftet. So wird Leuten, die gerne spielen, ein groteskes Schuldgefühl eingeimpft. Wenn wir es schaffen, Nicht-Spielern zu vermitteln, welchen Spaß Spiele machen, hätten wir die Chance, das zu ändern. Spieler würden in der Gesellschaft besser akzeptiert, und es würde einfacher, "richtige" Spiele zu entwickeln. Auch wenn Nintendo auf neue Käufer abzielt, ist es völlig undenkbar, kein neues Zelda zu machen. Im Gegenteil, wir haben vier Jahre und jede Menge Arbeit für Zelda aufgewendet. Es ist keine Frage, dass wir mit Leidenschaft dabei sind. Für die Leute, die unsere Spiele bisher gekauft haben, werden wir natürlich weiter Spiele entwickeln. Nur, wenn wir nicht auch Spiele für Nicht-Spieler machen, dann gehen auch die Spielefans mageren Zeiten entgegen.

Iwata Asks
Nagata:

Das verstehe ich.

Iwata:

Kommen wir nun zu Ihrem "aber"... (Lachen) Natürlich verstehe ich das Gefühl, das Sie beschreiben…

Nagata:

(Lachen)

Iwata:

Aber es ist klar, dass wir bei Entwicklung von Spielen nicht zwischen Spielern und Nicht-Spielern trennen. Bei Wii Sports wird es auch den Spielern Spaß machen, im Tennis beim Zielscheibenschiessen um die höchste Punktzahl zu wetteifern. Sogar bei "Gehirn-Jogging", das ja eigentlich kein Spiel ist, gibt es viele Leute, die es faszinierend finden, wie bei einem Autorennen gegen die Zeit anzutreten.

Nagata:

Ja, es macht genauso viel Spaß. Bei den Rechenaufgaben aus dem Augenwinkel die Zahlen im Blick zu behalten und gleichzeitig die Ergebnisse aufzuschreiben… es ähnelt schon irgendwie einem Puzzlespiel.

Iwata:

Es ist genau das Gleiche. Ich denke, der Teil des Gehirns, wo dieser Spaß seinen Ursprung hat, ist derselbe. Deswegen macht sogar die Software von "Touch! Generations" im Grunde den gleichen Spaß wie ein Spiel.

Nagata:

Sie haben einfach die gängige Definition, was ein Spiel sein kann, erweitert. Seit dem Nintendo DS arbeiten sie kontinuierlich daran, diese Definition zu erweitern. Sie versuchen damit keineswegs, die Spiele, die davor kamen, zu ersetzen oder zu verwerfen.

Iwata:

Ganz genau.

Nagata:

Auch die Entwickler sprachen hier davon, die bisherige Definition von Spielen zu erweitern. Wenn man sich das in Ruhe ansieht, ging diese Erweiterung nicht mit einer Reduzierung der Zahl oder der Qualität der Titel einher. Das ist nicht leicht zu erreichen, anders ausgedrückt erfordert es, dass die Arbeitsbelastung steigt, aber davon hat niemand etwas gesagt... Gab es hier kein Protestgeschrei? (Lachen)

Iwata:

Das liegt daran, dass alle zu beschäftigt sind! (Lachen) Menschen haben eine bestimmte Leistungsfähigkeit. Diese Leistungsfähigkeit optimal einzusetzen ist von großem Nutzen für eine Firma. Anders gesagt, viel Energie verpufft einfach innerhalb von Firmen, oder sie wird für etwas aufgewendet, was letzten Endes in eine Sackgasse führt. Wenn diese Energie richtig kanalisiert wird, hat man eine große Kraft, mit der man sichtbare Ergebnisse erzielen kann. Ich denke, dass sich in den vergangenen drei Jahren nicht nur die Werte, die die Mitarbeiter bei Nintendo miteinander teilen, erweitert haben, sondern auch jeder einzelne die Zielsetzung unserer Firma besser versteht. Meiner Meinung nach hat sich damit die Energie in dieser Firma stärker erhöht, als es die Neueinstellungen erahnen lassen. Das heißt, das Potential wird hier besser genutzt.

Nagata:

Ah, ich verstehe.

Iwata:

Die Tatsache, dass es jetzt mehr Entwickler gibt, die sich hier hinsetzen und eine klare und präzise Meinung äußern können, ist meiner Meinung nach ein Beweis dafür. Ein Teil dessen, was ich mit diesen Interviews erreichen wollte, war, diese Entwickler mehr in den Vordergrund zu rücken.

Nagata:

Ja, diesen Eindruck hatte ich auch.

Iwata:

Konkreter gesagt hielt ich es für gut, wenn außer Miyamoto-san auch andere von ihrer Arbeit erzählen. Natürlich bleibt Miyamoto-san einer der Hauptpfeiler von Nintendo, und wir brauchen ihn unbedingt im Zentrum unserer Produktion. Aber es gibt auch noch andere Leute neben ihm, ohne die wir nicht diese vielen Produkte herausbringen könnten. Natürlich können wir sie nicht alle zu Wort kommen lassen, aber ich dachte, wenn wir wenigstens einige davon vorstellen, hilft es dabei, zu zeigen, dass Nintendo eine interessante, facettenreiche Gruppe von Leuten ist.

Nagata:

Sehr interessant fand ich bei diesen Interviews, dass das Gespräch immer irgendwie auf Miyamoto-san kam, auch wenn er gar nicht anwesend war.

Iwata:

Ja, irgendwie kommen wir immer auf ihn! (Lachen)

Nagata:

Das ist ein interessantes Phänomen. Und immer, wenn von Miyamoto-san gesprochen wurde, schienen Sie irgendwie glücklich zu sein.

Iwata:

Ja, denn ich habe von ihm sehr viel über das Entwickeln von Videospielen gelernt. Vielleicht weniger gelernt als abgekupfert! Ich habe ihn schon während meiner Zeit als Programmierer bei HAL Laboratory5 beobachtet und von ihm gelernt. Ich beobachtete ihn von außerhalb Nintendos und fragte mich mit großen Augen: "Warum hat Miyamoto-san immer Erfolg?" Und jetzt sind wir durch einen kuriosen Schlenker des Schicksals in diesen Positionen gelandet - es ist wirklich lustig, wie sich Dinge manchmal entwickeln! (Lachen) 5HAL Laboratory, Inc. Ist ein japanischer Entwickler von Videospielen. Der wahrscheinlich berühmteste Charakter dieser Firma ist Kirby, doch sie ist auch für die Super Smash Bros.-Serie bekannt. Satoru Iwata war in dieser Firma als Programmierer tätig.

Nagata:

Viele Ihrer Erfahrungen, die Sie außerhalb Nintendos gesammelt haben, scheinen Ihnen jetzt als Präsident zugute zu kommen.

Iwata:

Ich würde sagen, dass sich nur sehr wenige meiner Erfahrungen als nicht nützlich erwiesen haben.

Nagata:

Ich kenne natürlich nicht alle Details, aber bei Ihrer vorherigen Arbeit gab es häufig Sackgassen, aus denen Sie aber wieder herausfanden. Der Wiederaufbau von HAL Laboratory kommt mir da z.B. in den Sinn, ebenso "Mother 2"6... 6MOTHER 2 für das SNES, entwickelt von HAL Laboratory, wurde 1995 in den USA als Earthbound veröffentlicht.

Iwata:

Ja, diese Erfahrungen sind immer noch sehr wichtig für mich. Die zeitweilige Einstellung von "Mother 3"7 gehört dazu, ebenso die Entwicklung von Kirby. Eine andere wichtige Erfahrung war es, als "Smash Brothers" nach großen Schwierigkeiten endlich veröffentlicht wurde und weltweit sehr gut ankam. Es gibt da viele Beispiele. 7MOTHER 3 sollte ursprünglich 1996 für das N64 veröffentlicht werden. 2000 wurde es jedoch eingestellt und erst im April dieses Jahres für den GameBoy Advance veröffentlicht.

Nagata:

Gab es auch Misserfolge, genauer gesagt, etwas, das nicht so erfolgreich war, wie Sie es sich erhofft hatten?

Iwata:

Das wäre dann Mother 3. (Lachen)

Nagata:

Aber es wurde doch noch veröffentlicht, wenn auch erst dieses Jahr und für den GameBoy Advance.

Iwata:

Na ja, schon… (Lachen)

Nagata:

Man könnte es also zu guter Letzt doch noch als Erfolg betrachten.

Iwata:

Nun, solange man noch Chancen hat… Hmm, man sollte immer nach Möglichkeiten suchen, seine Vision zu verwirklichen, aber es steckt mehr dahinter…

Nagata:

Sie müssen einfach raus aufs Spielfeld gehen!

Iwata:

(Lachen) Wir haben uns lange unterhalten, und zusammenfassend will ich sagen, dass wir bei Wii nicht wussten, welche endgültige Form das Projekt einmal annehmen würde. Uns war lediglich klar, dass der Weg, auf dem wir waren, keine Zukunft hatte, und deswegen schlugen wir einen neuen ein. Natürlich ist die Zeit begrenzt und wir müssen weiter neue Produkte entwickeln, so wie wir es immer getan haben. Wenn ich darauf zurückblicke, was wir erreicht haben - wir brachten eine neue tragbare Konsole heraus, während wir an Wii arbeiteten - gab es einige Dinge, die ich gern anders gemacht hätte. Aber merkwürdigerweise kann ich das bei der fertigen Wii-Konsole nicht sagen. Ich bin mir absolut sicher, wir würden, auch wenn wir die Uhr zurückdrehten, alles wieder genauso machen, und ich denke, das ist der Grund, warum bei diesen Interviews alle so zufrieden wirkten.

Iwata Asks
Nagata:

Ja, ich denke, da haben Sie Recht.

Iwata:

Das ist der Kern des Ganzen. Hmm… Eigentlich sollte es für die Sonderausgabe ja so sein, dass ich Ihnen Fragen stelle und nicht umgekehrt.

Nagata:

Das macht nichts, schließlich ist es eine Spezialausgabe! Ich bin mir sicher, den Lesern wird es gefallen, dass in diesem Teil Sie die Fragen beantwortet haben!

Iwata:

(Lachen)