5. Verblüffend, dieser Oger!

Iwata:

Wenn Sie jetzt, wo die Veröffentlichung von The Last Story kurz bevorsteht, die Entwicklung noch einmal Revue passieren lassen ... Was war die schwierigste Phase in diesem langen Prozess, Mr. Matsumoto?

Matsumoto:

Lassen Sie mich mal überlegen ... Nun, wie Sie sich vielleicht vorstellen können, war es schon sehr anspruchsvoll, all diese neuen Ideen auszuprobieren und mit der Abfallquote zurechtzukommen.

Sakaguchi:

Das ist auch etwas, was ich bislang nicht ansprechen wollte. Aber ich habe tatsächlich Mitarbeiter des Teams sagen hören: „Wie lange will sich Mr. Matsumoto denn wohl noch Mr. Sakaguchis Ausführungen anhören?“ Das war auf der Bürotoilette.

Matsumoto:

Häh? (lacht) Aber ich kann nachvollziehen, warum sie das sagten. Ich bin mir sicher, dass es da eine Zeit gab, als die Mitarbeiter annahmen, diese Phase würde nie zu Ende gehen.

Iwata:

Nun, es ist schon hart, wenn man einen Marathon läuft und dabei das Ziel nicht näher rücken sieht. Wenn man nur weiß, wie lange es noch bis zum Ende dauert, dann kann man sich sagen: „Wir müssen nur noch dieses Stück hier schaffen ...“ Ist man sich aber nicht sicher, ob es nun noch drei oder dreißig Kilometer sind, dann wird man selbstverständlich beunruhigt sein. War dies das erste Spiel, bei dem Sie über einen so langen Zeitraum hinweg so viele Anpassungen vornehmen mussten?

Matsumoto:

Ja, das war es. Und zweifellos gab es da Leute, die mir das übelnahmen. (lacht) Hinter viele Probleme kamen wir erst, als das Spiel schon fertig war, sodass wir bis zur letzten Minute Anpassungen machten.

Iwata:

Ach, was Sie da gerade erzählen, erinnert mich an meine erste Zusammenarbeit mit Mr. Miyamoto. Er sagte mir: „Wenn Sie ein Spiel zweimal erstellen, dann fängt es erst an, richtig Spaß zu machen.“ Er wollte mir damit sagen, dass es immer Dinge gibt, die einem erst dann auffallen, wenn das ganze Spiel funktioniert. Aber letztendlich kommt es darauf an, wie viel Energie man in die Anpassungen stecken kann, wenn die Zeit begrenzt ist.

Sakaguchi:

Das stimmt. Wenn man bedenkt, dass auf der ganzen Welt Videospiele entwickelt werden und man den Spielern als Spieledesigner seine eigene Vision vermitteln möchte, dann muss man sein Augenmerk darauf richten, was man erschaffen möchte, gleichgültig wie viel Mühe das auch kosten mag. Daher wollte ich so lange daran weiter arbeiten, wie man mich eben ließ.

Matsumoto:

Ganz wichtig war doch, dass man uns bis zum Ende all diese Änderungen machen ließ. Natürlich war es auch wichtig, den Endtermin des Projekts im Auge zu behalten. Ursprünglich arbeiteten wir ja noch auf einen etwas früheren Abgabetermin hin ...

Iwata Asks
Sakaguchi:

Ich bin wirklich dankbar, dass man uns für dieses Projekt zusätzliche Zeit eingeräumt hat.

Iwata:

Der Projektverantwortliche bei Nintendo versorgte mich mit Fortschrittsberichten, und wir machten uns darüber Gedanken, wie wir Ihnen bei der Verwirklichung Ihrer Vision helfen könnten. Mir erschien das viel wichtiger, als den ursprünglichen Terminplan einzuhalten. Aber ich frage mich wirklich, wie Sie die hohe Motivation des Teams aufrechterhalten konnten, wo es doch einen Marathon lief, ohne das Ziel näher rücken zu sehen. Wie haben Sie das geschafft?

Sakaguchi:

Nun zunächst muss ich sagen, dass die Mitarbeiter alle Angst vor Mr. Matsumoto hatten. (lacht) Und dann hatten die Programmierer wirklich Spaß an ihrer Arbeit. Nehmen Sie zum Beispiel dieses einzelne Geschöpf aus dem Spiel, den Oger. Dieser einzelne Oger war angekettet. Und die Programmierung, die für die Erstellung der Ketten notwendig war, war offensichtlich sehr ausgefeilt. Die Programmierer haben solche Arbeiten wirklich vollends ausgekostet.

Matsumoto:

Das kam daher, dass sie von Mr. Sakaguchi positives Feedback erhielten. Sie bauten solche Elemente in das Spiel ein und legten sie dann Mr. Sakaguchi zur Ansicht vor, der sofort erwiderte: „Ach, das gefällt mir aber!“

Sakaguchi:

Ich machte mir zwar Sorgen wegen des Terminplans, aber auch die allgemeine Spielatmosphäre ist sehr wichtig. Und wenn ich mir das vor Augen führte, dachte ich: „Wow! Wirklich verblüffend, dieser Oger!”

Matsumoto:

Und daraufhin dachte sich das Team dann: „Super! Das hat ihm also gefallen! Kommt, wir denken uns noch so etwas aus!“ (lacht)

Iwata:

Aber es verändert doch die allgemeine Spielatmosphäre, wenn man immer weitere solcher Elemente hinzufügt, oder?

Matsumoto:

Ich glaube, das war eine Möglichkeit für das Team, mal Dampf abzulassen. Und gerade deshalb blieb die Motivation auch bis zum Ende des Projekts so hoch.

Sakaguchi:

Wenn das Dampfablassen zu zusätzlichen Spielelementen führt, dann begrüße ich es voll und ganz. Außerdem verband Mr. Matsumoto und das Team eine sehr gute Zusammenarbeit, weil er ursprünglich selbst Programmierer war. Im Gegensatz dazu komme ich eher von der Planungsseite. Aber auch ich arbeite sehr gut mit Mr. Matsumoto zusammen. Da gab es allerdings Momente, wo ... nun, ich weiß nicht, ob ich das hier ansprechen soll, aber es gab Momente, wo auch ich die Fassung verlor ...

Matsumoto:

Vielleicht hätten Sie sich das bis zum Ende des Projekts aufheben sollen ... (lacht)

Sakaguchi:

Nein, so etwas vergesse ich, wenn ich zu lange warte. Dann fange ich selbst an zu denken, alles sei ganz glatt gelaufen. Deshalb musste ich das jetzt an dieser Stelle sagen! (lacht)

Iwata Asks
Iwata:

Mir ist gerade bewusst geworden, dass Mr. Sakaguchi ja zwischen Japan und Hawaii hin- und herreisen musste. Kommunizierten Sie meistens per E-Mail?

Matsumoto:

Ja, das ist richtig. Und Mr. Sakaguchi beantwortet Mails wirklich immer sehr prompt. Manchmal vergisst man dabei vollkommen, dass es eine Zeitverschiebung zu Hawaii gibt.

Iwata:

Wie sieht Ihr Arbeitsablauf aus, wenn Sie in Hawaii sind?

Sakaguchi:

Ich schlafe ungefähr von neun Uhr abends bis drei Uhr morgens japanischer Zeit. Danach widme ich mich voll und ganz meiner Arbeit. In Hawaii kann man doch ohnehin nichts unternehmen! (lacht) Mir macht es am meisten Spaß, vor meinem Computer zu sitzen.

Iwata:

Ich verstehe! (lacht) Das ist also Ihr Geheimnis. Deshalb fällt Ihnen die Zeitverschiebung auch nicht auf. Und man kann wirklich nichts in Hawaii unternehmen? Nun, da Sie dort leben, können Sie das sicher besser beurteilen. Gibt es noch weitere Geheimnisse des Entwicklungsprozesses, die Sie gern mit uns teilen möchten?

Matsumoto:

Nun, da gibt es zum Beispiel die Tatsache, dass das erste richtige Verlies, das ich erstellt habe, zum Verlies am Ende des Spiels wurde. Das ist das Kapellen- Verlies. Außerdem gefällt mir das Design der Kapelle und des Schlosses außerordentlich.

Sakaguchi:

Sie haben ein Jahr lang in England gearbeitet, nicht wahr?

Matsumoto:

Das stimmt. Ich habe da gelebt. Und an den Wochenenden besichtigte ich Schlösser und Klöster. Die Broschüren, die ich so mit der Zeit sammelte, habe ich für das Leveldesign von The Last Story verwendet.

Iwata:

Wow. Man weiß wirklich nie, wofür man solche Sachen noch einmal verwenden kann, oder?

Matsumoto:

Das stimmt. Das Kapellen-Verlies habe ich nach meinem eigenen Geschmack entworfen. Aber ich habe nicht eine Sekunde lang geglaubt, dass dieses im finalen Spiel Verwendung finden würde.

Sakaguchi:

Ursprünglich wollten wir dieses Verlies nicht in die Hauptstory aufnehmen. Wir wollten eigentlich eine Nebenmission einbauen, aber dann entschieden wir uns doch für das Verlies. Und dieses ist wirklich zu einem wichtigen Ort für das Spiel geworden. Als ich mich dorthin begab, um das Spiel zu testen, war das schon recht nostalgisch.

Matsumoto:

Richtig. Nun, es ist schon drei Jahre her, dass wir das Verlies gemacht haben.

Sakaguchi:

Aber wenn man jetzt darüber nachdenkt, dann hat man bei dem Verlies immer noch das Gefühl, dass es als Experiment geplant war. Man kann dort entweder nach links oder rechts gehen, aber letzten Endes macht das keinen großen Unterschied.

Matsumoto:

Ja, das stimmt! (lacht) Ursprünglich hatten wir Wege nach links und rechts vorgesehen und probierten verschiedene Timings für das Auftreten von Gegnern und für Ereignis-Szenen aus. Das ist davon übrig geblieben.

Iwata Asks
Sakaguchi:

Und letztendlich ist das ... nun, letztendlich ist das wahrscheinlich die bedeutungsloseste Entscheidung im ganzen Spiel gewesen! (lacht)

Matsumoto:

Aber es ist doch tatsächlich etwas, das sehr gut zu The Last Story passt. Hätte man sich von allem getrennt, was für das Spiel nicht unbedingt nötig ist, dann hätte man wirklich sehr viel verloren. Aber weil wir uns zum Ziel gesetzt hatten, all diesen Elementen eine gewisse Bedeutung zu geben, erscheinen manche Dinge im Spiel auf den ersten Blick zunächst bedeutungslos, erweisen sich später aber als in das Spiel integrierte Features. Meiner Meinung nach wird die Spielatmosphäre von diesem einzigartigen Realismus geprägt.