2. Vom Produzenten lernen

Iwata:

In diesem Jahr, 2010, ist der 25. Jahrestag seit Einführung des ersten „ Super Mario Bros. "6 Es ist auch schon 14 Jahre her, seit „Super Mario 64" auf den Markt kam. 6„Super Mario Bros.": Ein Jump'n'Run-Spiel, welches in Japan im September 1985 für das NES herauskam. In Europa wurde es 1987 eingeführt.

Miyamoto:

Ist das schon so lange her? Seit wir mit „Mario 64" begonnen haben, ist das hier das vierte 3D-Mario-Spiel. Während der ganzen Arbeit an dieser Serie haben wir viele Herausforderungen gemeistert.

Iwata:

Was für welche?

Miyamoto:

Eine davon war, uns für die richtige Machart der Mario-Spiele zu entscheiden. Nehmen Sie zum Beispiel „ Mario Sunshine "7. Es war ein Jump'n'Run-Spiel, bei dem wir eine Wasserpumpe eingesetzt haben. 7„Super Mario Sunshine": Ein 3D-Jump'n'Run-Spiel, welches in Europa im Oktober 2002 für den GameCube erschienen ist.

Iwata:

Man konnte mit der Pumpe Wasser in die Luft spritzen.

Miyamoto:

Ja, das stimmt. Das Spiel hat mit Wasser zu tun, weshalb wir uns für eine Südseeinsel als Umgebung entschieden. Das mit der Ferieninsel war eine wirklich gute Idee! Auf eine Südseeinsel kommen Sie natürlich nur per Flugzeug. Bei einer Anreise per Flugzeug wäre es merkwürdig gewesen, wenn Prinzessin Peach allein dort wäre. Also haben wir ihr Toad an die Seite gestellt. Und weil sie einen Diener und Begleiter braucht, ist der alte Toadsworth auch hier. Princess Peach hat ihren Sonnenschirm geöffnet und ihr ganzes Gefolge ist da. Wäre das alles gewesen, wäre es ganz schön einsam bei dem Ausflug auf die Ferieninsel.

Iwata:

Die Insel musste also bewohnt sein.

Miyamoto:

Richtig. Man braucht Eingeborene oder andere Touristen. Wir haben lange darüber diskutiert. Wir dachten, dass andere Touristen die Stimmung ruinieren würden. Es sollten also Eingeborene sein, weshalb wir die Palmas erfanden. Als die Entscheidung für die Palmas und die Wasserpumpe feststand, machten wir uns daran, die Feinde zu kreieren.

Iwata:

Mit den Feinden haben Sie also erst angefangen, als der Rest bis zu einem gewissen Grad feststand.

Miyamoto:

Richtig. Und das war im Gegensatz zu den vorherigen Spielen, die wir entwickelt haben, ein ganz neues Vorgehen. Wir fingen mit Mario als einem Charakter an, der nicht von irgendwelchen Feinden geschlagen werden konnte. Könnte Mario den Feinden nur ausweichen, wäre es wohl kaum besonders spaßig geworden. Wir haben dann darüber nachgedacht, wie Mario gegen seine Feinde kämpfen könnte. Das hat uns auf die Idee von „ Mario Bros. "8 gebracht, wo man von unten gegen Ebenen springen konnte. 8„Mario Bros.": Ein Action-Spiel, welches in Japan 1983 als Arcade-Version und später für das NES erschien.

Iwata:

Das war der Moment, an dem die Schildkröten ins Spiel kamen, richtig?

Miyamoto:

Oh ja. Weil Schildkröten ein gutes Bespiel dafür sind, wenn man an etwas denkt, das umgekippt werden soll. (lacht) Wir haben Spiele gemacht, die gewisse Punkte überschritten haben. Es war aber etwas völlig anderes, als wir uns das erste mal entschieden haben, auf eine Ferieninsel zu fliegen, auf der Leute leben, die Palmas heißen, und über Gegner nachdachten. Als wir das erste „Mario Galaxy" machten, begann ich darüber nachzudenken, wie wir unterscheiden können, welche Charaktere gut und welche schlecht sind. Wenn ein neuer Mitarbeiter eine Figur zeichnete, sage ich oft „Das ist nicht gut.” und sie antworteten, dass sie nicht verstehen, was falsch mit der Zeichnung ist. Ich habe dann erklärt, warum ich sie nicht gut fand. Die Erklärung bezog sich immer auf die anderen Figuren, die in Mario auftauchen. Es ist nämlich absolut wichtig, dass ein Spieler beim ersten Auftauchen eines Charakters direkt erkennen kann, was dessen Funktion ist. Das ist vielleicht jetzt ganz leicht zu verstehen, aber nicht, es zu erklären. Vor allem nicht, als ich es das erste Mal tat. Dieses designerische Problem überwanden wir, als wir das erste „Mario Galaxy" entwarfen, aber das andere Problem war die Geschichte. Ich überlegte, ob Mario-Spiele wirklich eine Geschichte brauchen.

Iwata Asks
Iwata:

Das war doch schon seit „Mario Sunshine" ein wichtiger Punkt.

Miyamoto:

Ja. Mr. Koizumi9 war der Regisseur von „Mario Sunshine" und vom ersten „Mario Galaxy". Bei „Mario Galaxy 2" war er der Produzent. Wir waren für eine Weile ein wirklich gutes Team! 9Yoshiaki Koizumi: Neben den Mario-Spielen war er auch an der Entwicklung von „Donkey Kong Jungle Beat" und „Flipnote Studio" beteiligt. Er arbeitet im Nintendo Entertainment and Analysis Division’s Tokyo Software Development Department.

Iwata:

Sie beiden haben über 14 Jahre, seit „Mario 64", zusammen gearbeitet.

Miyamoto:

Ja. Er hatte die Idee für „ Link’s Awakening ".10 Er ist gut im Erfinden von Geschichten. 10„The Legend of Zelda: Link’s Awakening": Das erste Spiel der Zelda-Serie für den Game Boy kam in Deutschland 1993 heraus. Anschließend, im Januar 1999, erschien das Remake mit dem Namen „The Legend of Zelda: Link’s Awakening DX" für den Game Boy Color in Europa.

Iwata:

Im Interwiev „Iwata fragt” zu „The Legend of Zelda: Spirit Tracks" hat Mr. Tezuka11 gesagt, dass Mr. Koizumi ein großer Romantiker ist. (lacht) 11„Takashi Tezuka": Er war an der Entwicklung vieler Spiele beteiligt, wie auch an den Super Mario-, Yoshi- and Animal Crossing-Serien. Er ist der General Manager des Software Development Department of Nintendo’s Entertainment and Analysis Division.

Miyamoto:

Ja, das ist er. Er ist auch gut, was Animationen angeht. Ich hatte immer ein Auge darauf, dass er nicht übertreibt, mit dem was er tut. Schon seit „Mario Sunshine" hatte ich das Gefühl, dass einige Entwicklungen nicht ganz natürlich waren. Ich habe oft mit ihm darüber gesprochen. Aber immer, wenn es um zentrale Inhalte ging, gab es Punkte, denen wir beide auszuweichen versuchten.

Iwata:

Sie haben so viele Jahre zusammen gearbeitet, aber es gab immer noch Unklarheiten zwischen Ihnen.

Miyamoto:

Richtig. Seit dem ersten „Mario Galaxy" habe ich gesagt, dass Mario-Spiele weder eine Handlung, noch Filmsequenzen brauchen. Aber bevor ich mich versah, gab es jede Menge Filmchen und bereits konkrete Handlungsstränge. Man kann ja jede Menge Filme am Ende einer Entwicklung hinzufügen.

Iwata:

Am Ende fügen sich alle einzelnen Teile zusammen.

Iwata Asks
Miyamoto:

Am Schluss stand ich dann da und dachte „Huch, das wird ja immer mehr zu Zelda!” (lacht)

Iwata:

Und das, nachdem Sie sagten, dass keine Geschichte nötig ist! (lacht)

Miyamoto:

Genau. Weil ich diese Erfahrung schon mit dem ersten „Mario Galaxy" gemacht habe, sprachen wir diesmal schon vorher über das Weglassen solcher Elemente. Während der Entwicklungsphase bekam ich aber das Gefühl, dass diese Dinge nicht konsequent genug umgesetzt wurden.

Iwata:

Sie wollten Dinge weglassen, aber die Dinge verliefen nicht nach ihrem Gusto.

Miyamoto:

Es wurde nicht umgesetzt. Ich zeigte Mr. Tezuka und Mr. Nakago eine Version des Spiels12 während der Entwicklungsphase und beide sagten, dass irgendetwas falsch daran war. 12Toshihiko Nakago: Er begleitete die Entwicklung von Nintendo-Spielen, wie die der Super Mario- und Zelda-Serie seit Zeiten des NES. Er ist der Chef von SRD Co., Ltd.

Iwata:

Wenn zwei Typen, die so lange Zeit an Mario gearbeitet haben13 denken, dass irgendwas schief läuft, weißt du, dass du etwas ändern musst. 13Die beiden Personen, die am längsten für Mario gearbeitet haben: Takashi Tezuka und Toshihiko Nakago sprechen über die Mario-Serie in diesem „Iwata fragt“-Interwiev.

Miyamoto:

Ja. Ich hatte immer ein Auge auf die Action-Elemente und das Design der Umgebungen, habe aber die Spannungs-Elemente meist dem Team überlassen.

Iwata:

Ach so.

Miyamoto:

Ich wusste, dass ich das Spiel nicht so lassen konnte, wie es war, und so kam es eines Samstag Nachmittags, dass ich Mr. Koizumi außerhalb der Firma traf und ein langes Gespräch mit ihm führte.

Iwata:

Ah, Sie haben mir die Woche darauf beim Mittagessen davon erzählt. Sie sagten, dass Sie vier oder fünf Stunden miteinander gesprochen hatten und einiges verstanden hatten. Sie kamen mir so vor, als ob sich ein jahrelanger Nebel gelichtet hätte. (lacht)

Miyamoto:

Oh ja. (lacht) Ich hatte schon lange nicht mehr so mit ihm gesprochen. Wir waren wie ein altes Ehepaar, das nach langer Zeit des Schweigens nach dem Auszug der Kinder wieder miteinander über Herzensdinge gesprochen hat. (lacht)

Iwata Asks
Iwata:

Ha ha ha! (lacht)

Miyamoto:

Während wir also über grundlegende Dinge wie Mr. Koizumis Blick auf die Wichtigkeit einer Handlung, die Funktion von Handlungssträngen und darüber, was für eine Art von Spiel Mario ist, sprachen, habe ich etwas wichtiges gelernt.

Iwata:

Und was war das?

Miyamoto:

Ich bemerkte, dass wenn es um Geschichten oder Filme geht, es nicht darum geht, ob wir sie brauchen oder nicht. Das einzig wichtige ist die Resonanz auf das Spiel.