2. Ace Attorney, Produkt einer Gegenreaktion

Iwata:

Bei unserem letzten Gespräch habe ich Hino-san zu Professor Layton befragt, doch ich hatte noch nie die Gelegenheit, über „Ace Attorney“ zu sprechen, daher würde ich das heute wirklich gerne nachholen.

Takumi:

Aber gerne!

Iwata:

Was war der zündende Gedanke für die Serie?

Takumi:

Also, ich habe mich schon immer für Rätsel interessiert und sogar speziell bei Capcom angefangen, weil ich Detektivspiele entwickeln wollte. Natürlich konnte ich nicht gleich damit ankommen, als ich zum Unternehmen stieß, also habe ich erst mal unter Shinji Mikami9 an einem Spiel namens „Dino Crisis“10 gearbeitet.9. Shinji Mikami: Der ehemalige Chef des Produktionsstudios 4 bei Capcom. Er arbeitete als Direktor bzw. Produzent an verschiedenen Spielen der Resident Evil-Reihe. Momentan ist er CEO bei Tango Gameworks.10. Dino Crisis: Eine Reihe von Horrorabenteuern, in denen die Spieler gegen Dinosaurier kämpfen. Das erste „Dino Crisis“-Spiel wurde im Juli 1999 von Capcom in Europa veröffentlicht.

Iwata Asks
Iwata:

Ein Spiel eines völlig anderen Genres!

Takumi:

Stimmt. (lacht) Nachdem 2000 das zweite „Dino Crisis“ Spiel auf den Markt kam, entstand bei Capcom ein firmeninternes Projekt, bei dem man ein Jahr lang an dem arbeiten durfte, an dem man wollte. Dadurch sollten die jüngeren Mitarbeiter die Gelegenheit erhalten, ihre Fähigkeiten auszubauen. Ich dachte „Das ist meine Chance!“ und begann mir Gedanken über die Grundprinzipien meiner Idee für „Ace Attorney“ zu machen. Bisher hatte ich nur im Hintergrund daran gearbeitet.

Iwata:

Hatte der ursprüngliche Plan Ähnlichkeit mit dem heutigen Spiel?

Takumi:

Na ja, ich hatte zunächst einmal nur über das Spielsystem nachgedacht, doch ich denke, das Konzept an sich war grundsätzlich machbar. Besonders, weil frühere Detektivspiele ein System hatten, bei dem der Spieler eine Option auswählen musste, um eine Handlung auszuführen, also A, B oder C. Ich dagegen wollte eine neue Schnittstelle zum Ziehen von Schlussfolgerungen und Lösen von Rätseln schaffen.

Iwata:

In klassischen Abenteuerspielen war es üblich, die nächste Handlung aus verschiedenen Optionen auszuwählen, nicht wahr? So wie bei den Spielen von Yuji Horii11.11. Yuji Horii: Der Erfinder der „Dragon Quest“-Reihe und Veteran der Spieleindustrie, dessen Karriere bis zur Entwicklung des Famicom (in Europa als „Nintendo Entertainment System“ bekannt) zurück reicht. Vor den Famicom-Spielen war er zudem an mehreren bahnbrechenden, in Japan veröffentlichten Abenteuerspielen beteiligt.

Takumi:

Stimmt. Ich habe mich total darauf konzentriert, wie der Schlussfolgerungsprozess des Spielers intuitiver und konkreter werden konnte. Ich dachte, wenn man das Konzept der Wahrheitsfindung verbessern könnte, würde es sich besser in die Schlussfolgerungen des Spielers einfügen, als ein Prozess, bei dem er aus eingeblendeten Optionen auswählen muss.

Iwata:

Stimmt. Sich auf das zu konzentrieren, was man vor sich hat und Dinge zu bemerken, die dort nicht hinzupassen scheinen, erlaubt es den Spielern, logischer und genauer zu reagieren.

Takumi:

Die Regeln sind ebenfalls klar und eindeutig. Was die Organisation eines Schlussfolgerungsspiels betrifft, folgt es übrigens derselben Methode wie die Optionsauswahl: Bei drei Zeugen und fünf Beweisstücken gibt es insgesamt 15 mögliche Optionen.

Iwata:

Ein logisches System, das jedoch eine Menge Tiefgang erlaubt, nicht wahr?

Takumi:

Ja. Nachdem die Idee für dieses System Gestalt annahm, beschloss ich, dass der Hauptcharakter des Spiels ein Rechtsanwalt sein sollte. Ich habe mich gefragt, ob man etwas Neues finden könnte, also mal keinen Detektiv, und ich dachte, ein Spiel, in dem man einen Anwalt spielt, der vor Gericht seine Fälle verteidigt, wäre doch originell.

Iwata:

Wie haben andere auf diesen ursprünglichen Plan reagiert?

Iwata Asks
Takumi:

Nicht sonderlich begeistert! (lacht) Als die Leute die Worte „Anwalt“ und „Gerichtssaal“ hörten, stellten sie sich ein juristisches Spiel vor, also ziemlich schwere Kost mit hohem Schwierigkeitsgrad. Ich erledigte meine Entwürfe während der Sommerferien, und Mikami-san rief mich doch tatsächlich zu Hause an und sagte, ich solle die ganze Sache vergessen!

Alle:

(lachen)

Takumi:

Ich konnte es kaum glauben! Ich dachte, man würde mich loben, weil ich während der Sommerferien arbeitete! (lacht) Ich glaube, den Schock dieses Anrufs habe ich verdaut, indem ich alle Energie in die Entwurfsdokumente gesteckt habe. Ich musste zeigen, dass ein juristisches Thema nicht unbedingt ein Spiel mit einem steifen, formellen Charakter bedeutet. Stattdessen habe ich mich auf die starke Persönlichkeit der Charaktere konzentriert und auf das Konzept, bei dem es darum ging, in Zeugenaussagen und Beweisstücken Unstimmigkeiten aufzudecken.

Hino:

Aha, es scheint, als hätte die Reaktion auf Mikami-sans Anruf das Spielsystem von „Ace Attorney“ inspiriert!

Iwata:

Es wirkt wirklich so. Ich glaube, der Anruf hat mir dabei geholfen, den Schwerpunkt von „Ace Attorney“ zu konkretisieren. Sie haben positiv auf die Kritik und den Widerstand Ihres Umfeldes reagiert, weil sie wollten, dass das Spiel Ihren Kritikern gefällt. Ich glaube, man kann behaupten, dass „Ace Attorney“ aus diesem Bestreben heraus entstanden ist.

Takumi:

Ja. Ich wollte nur, dass es verständlich ist. Beim Spielsystem sah die ursprüngliche Idee so aus, dass der Spieler den gesamten Prozess anhören und hinterher gebeten würde, etwaige Lügen aufzudecken. Wir haben das dann verändert und das Kreuzverhör in Abschnitte unterteilt. Sobald der Spieler einen Abschnitt abgeschlossen hatte, konnte er mit dem nächsten fortfahren. Ein Spiel, in dem man Unstimmigkeiten in einer Aussage entdecken musste, kam mir sehr anregend vor. Daher haben wir die Haupthandlung in kürzere Abschnitte unterteilt, um dem Spieler mehr Gelegenheit für seine Schlussfolgerungen zu geben.

Iwata:

Verstehe. Ich glaube, das ist ein fantastisches Beispiel dafür, dass entgegengesetzte Meinungen nicht schlecht sein müssen. Im Gegenteil, es beweist, dass verschiedene Ansichten beim Lösen von Problemen sehr nützlich sein können.

Takumi:

Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu.

Iwata:

Ich denke, es ist der Fähigkeit, Probleme auf raffinierte Weise zu lösen, zu verdanken, dass die „Ace Attorney“-Spiele so ein Wohlgefühl bei den Spielern auslösen. War das etwas, dessen Sie sich von Anfang an bewusst waren? Haben Sie bei der Entwicklung des Spiels besonders darauf geachtet?

Takumi:

Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass uns das klar war. Unser Team bestand damals aus gerade einmal sieben Leuten, und ich glaube, wir haben einfach nur versucht, etwas zu entwickeln, was unserer Meinung nach Spaß machen würde. Daraus haben wir unsere Energie bezogen. Wir wollten von Anfang etwas machen, das sich in einem guten Tempo spielen ließ. Allerdings bestanden die Tricks der Spielentwickler, solch ein Tempo auf den damaligen portablen Spielkonsolen umzusetzen, darin, die Sounds im Spiel richtig zu timen und die Pausen zwischen den Textpassagen zu optimieren, die den Spielern eingeblendet wurden. Irgendwie entstand das Grundformat der „Ace Attorney“-Spiele dadurch, dass wir uns bei der Entwicklung des ersten Spiels auf diese Aspekte konzentriert haben.

Iwata:

Ich glaube, dass das Spielsystem bei vielen Spielen so in den Vordergrund rückt, dass es die Geschichten beschränkt, die darin erzählt werden sollen. Solche Spiele sind dann letztendlich nicht so unterhaltsam, wie sie sein könnten. Wie haben Sie verhindert, dass so etwas bei „Ace Attorney“ passiert?

Takumi:

Hm. Ich glaube, wir hatten wahrscheinlich einfach Glück …

Iwata:

Haha! (lacht)

Takumi:

Zum Zeitpunkt der Entwicklung war ich noch neu in der Branche und kannte keine Furcht. Ich habe mich voll und ganz auf die Handlung konzentriert und komplizierte Berechnungen oder schwierige Entscheidungen einfach vertagt. Das zweite Kapitel des ersten Spiels sollte beispielsweise ursprünglich das erste Kapitel werden. Das hätte bedeutet, dass das Spiel mit dem Tod einer Hauptfigur begonnen hätte …

Iwata:

In der Tat! (lacht)

Takumi:

Man gab mir zu verstehen, dass das zu plötzlich wäre, also habe ich das jetzige erste Kapitel eingefügt, um den Charakter richtig vorzustellen und den Spieler auf das zweite Kapitel vorzubereiten. Bei der Vorstellung des Spiels waren viele Leute von der Entwicklung schockiert! (lacht) Ich glaube, man rechnet einfach weniger damit, dass ein Charakter, der gerade sorgsam vorgestellt wurde, plötzlich getötet wird. Ich hatte nicht gedacht, dass das passieren könnte, daher war ich von der Reaktion der Leute ebenfalls überrascht.

Iwata:

Die bewährten Methoden wurden von Ihnen also nicht etwa bewusst ignoriert, sondern sie haben von Anfang an nicht für Sie existiert. Für den Rest hat dann ihr Talent gesorgt.

Takumi:

Es war das erste Mal, dass ich eine Handlung verfasst habe, daher waren mir Techniken und Ähnliches unbekannt. Nach Veröffentlichung des Spiels habe ich viel durch das Feedback der Leute gelernt, die es gespielt haben. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass Phoenix und ich aus Zufällen gelernt und gemeinsam Erfahrungen gesammelt haben.

Hino:

Wissen Sie, mir kam es so vor, als hätten Sie sich total viele Gedanken gemacht …

Iwata Asks
Takumi:

Na, das freut mich aber! (lacht)

Alle:

(lachen)