2. Ein Funken Inspiration

Iwata:

Wie meinen Sie, Privatprojekt?

Koizumi:

Wir wollten nach unserem Arbeitsalltag etwas Lustiges machen.

Iwata:

Ich bewundere Ihren Enthusiasmus, aber in meiner offiziellen Rolle kann ich so etwas nicht gutheißen. (lacht)

Koizumi:

Also gut. Drücken wir es mal anders aus, es war unser Geheimprojekt. (lacht) So hat es zumindest begonnen, aber wir haben uns zu Anfang noch nicht genau entschieden, was wir machen wollten. Mr. Shimizu hat aber schon länger davon geredet, dass er eine Art Netzwerk auf die Beine stellen wollte.

Shimizu:

Das stimmt.

Koizumi:

Wir haben uns an einer Reihe von Netzwerkprojekten für die Wii-Konsole versucht, aber es ist nichts Richtiges dabei herausgekommen. Dann haben wir unsere Planung geändert und uns entschieden, es mal mit dem Nintendo DS zu versuchen. Mr. Shimizu zeichnete ein Bild auf dem Nintendo DS und entwickelte Software, mit der man es auf der Wii-Konsole darstellen konnte. Er zeichnet für sein Leben gern.

Shimizu:

Dabei bin ich gar nicht gut darin.

Koizumu:

Seine Bilder haben einen bestimmten Stil. Als ich sie sah, wusste ich, was ich wollte. Ich sagte, lassen Sie uns daraus eine Daumenkino-Animation machen, und zwei Tage später, war sie fertig. Dann unterhielten wir uns darüber und da der Nintendo DS mit einem Mikrofon ausgestattet ist, könnten wir Sound hinzufügen. Am Tag darauf war das auch geschafft. Dieser Software-Prototyp wurde in nur wenigen Tagen fertig gestellt.

Iwata Asks
Iwata:

Die Arbeit geht einem leicht von der Hand, wenn man an etwas werkelt, das einem gefällt. (lacht)

Koizumi:

Ich glaube, wir wussten einfach ganz genau, was wir wollten. Deshalb ging alles auch so schnell.

Shimizu:

Mr. Koizumi hat mir nur wenig davon erzählt, aber ich war der Meinung, es war großartig. Dann, bevor ich mich versah, habe ich schon daran gearbeitet!

Iwata:

Bevor Sie sich versahen? (lacht)

Shimizu:

Ich wollte Mr. Koizumi überraschen. Das ist meine ganz besondere Art.

Iwata Asks
Iwata:

Ich war früher ein Programmierer, also weiß ich ganz genau, wovon Sie da reden. (lacht)

Koizumi:

Wir dachten uns, es wäre eine Verschwendung, würden wir es niemandem zeigen.

Iwata:

Wann war das?

Koizumi:

Anfang April 2008. Zu der Zeit wollten wir die Software "Flipbook Workshop" nennen. Man konnte damit Daumenkinos entwerfen und sie sich ansehen. Doch dann lehnte einer der Programmierer die Arbeit ab, weil er meinte, er kenne sich mit Daumenkinos nicht aus.

Iwata:

Da er nie eine Daumenkino-Animation gezeichnet hat, konnte er sich nicht vorstellen, dass ihm das jemals gelingen würde.

Koizumi:

Genau. Er meinte aber, es mache ihm viel Spaß, sich Animationen anderer anzusehen. Wenn ich zurückdenke, erkenne ich, dass Mr. Shimizu diese Software ursprünglich für sich selbst entwickelte, damit er damit Notizen machen konnte.

Shimizu:

Das ist richtig. Ich wollte ein Tool, mit dem ich Notizen speichern konnte. Der Prototyp war eine Art Zeichenspielzeug, aber er konnte nichts speichern.

Koizumi:

Und so ist mir mal im Zug auf dem Weg zur Arbeit klar geworden, dass wir daraus ein Notizheft machen mussten, mit dem sich jeder Dinge aufschreiben und sie mit anderen teilen oder sie für sich behalten konnte. Als ich an dem Tag ins Büro kam, war das Erste, was ich Mr. Shimizu sagte, dass wir es "Ugoku Memocho" (animiertes Memoheft) nennen müssten – oder kurz "Ugomemo" – und nicht "Flipbook". Erinnern Sie sich noch?

Shimizu:

Oh, ja.

Koizumi:

Danach haben wir uns überlegt, wir erlauben dem Nutzer, die Inhalte, die er mit "Flipnote" gemacht hat, über die lokale Übertragungsfunktion des Nintendo DS mit Freunden zu tauschen. Wir stellten aber schnell fest, dass das nicht genug war. Die Software, die Mr. Shimizu ursprünglich entwickelt hatte, verband die Wii-Konsole mit dem DS und zeigte viele Notizen, die auf dem Bildschirm aufgereiht waren, an den die Wii-Konsole angeschlossen war.

Iwata Asks
Shimizu:

Die Wii-Konsole übernahm die Rolle eines Netzwerkservers, auf dem Daten mit dem Nintendo DS ausgetauscht werden konnten.

Koizumi:

Wir überlegten uns, es als WiiWare3 zu veröffentlichen. Wenn ein Nutzer sich mit dem Netzwerk verbinden würde, könnte er so Notizen mit vielen Personen tauschen, nicht nur mit seinen Freunden. Zum damaligen Zeitpunkt wussten wir überhaupt nichts vom Nintendo DSi.

3WiiWare: Exklusive Wii-Software, die nicht verpackt sondern als Download verfügbar ist. Sie kann im Wii-Shop-Kanal gekauft und heruntergeladen werden.

Iwata:

Nur einige wenige Personen innerhalb unseres Unternehmens wussten zu diesem Zeitpunkt von dem System.

Koizumi:

Das Erste, woran wir gedacht haben, war die Download-Funktion des Nintendo DS zu nutzen, um ein WiiWare-Zeichentool in den Nintendo DS zu integrieren. In anderen Worten: Man würde "Flipnote Studio" herunterladen und die damit erstellten Inhalte an das WiiWare-Tool zurücksenden und speichern. Als Nächstes überlegten wir uns, eine Art Portal aufzubauen, auf dem man gespeicherte Notizen mit anderen Leuten übers Internet mit der Wii-Konsole tauschen könnte. Zu etwa dieser Zeit kam Takashi Tezuka von einer Geschäftsreise aus Kyoto zurück.

Iwata:

Dann haben Sie zum ersten Mal vom Nintendo DSi gehört.

Koizumi:

Richtig. Wir erkannten, der Nintendo DSi war wie geschaffen für das, woran wir arbeiteten.

Iwata:

Was hat Mr. Tezuka dazu gesagt?

Koizumi:

Damals war unser Projekt immer noch in der Versuchsphase. Er meinte, wenn wir uns nicht beeilten und es der Welt zeigten, würden wir unsere Gelegenheit verpassen.

Iwata:

Mr. Tezuka hatte vermutlich gespürt, dass es sich von anderen Produkten unterschied. Er kam auf mich zu und bat um eine Zusammenarbeit mit unserer Abteilung für die Netzwerkentwicklung.

Iwata Asks
Koizumi:

Wenn es darum ging, seine eigenen Notizen zu erstellen und damit Spaß zu haben, hatte ich vollstes Vertrauen in "Flipnote". Manche Leute aber, wie der erwähnte Programmierer, wollten sich nur ansehen, was andere gemacht haben. Damit also viele Personen mit der Software Spaß haben, war ich der Meinung, wir brauchen auf jeden Fall so etwas wie ein Internetportal.

Iwata:

Als ich davon hörte, dachte ich, wir könnten "Flipnote Studio" nicht vor der zweiten Jahreshälfte 2009 veröffentlichen. Der Terminplan unserer Abteilung für die Netzwerkabteilung war bis weit in die Zukunft mit Projekten vollgestopft. Ich war der Meinung, es würde ewig dauern, bis Nintendo endlich die Ressourcen frei hätte, um so ein System samt Server zu entwickeln.

Koizumi:

Ich kann mich erinnern, Sie haben lange angestrengt darüber nachgedacht... und sprangen dann plötzlich auf!

Iwata:

Habe ich das?

Koizumi:

Dann, nachdem Sie eine Weile stehend gegrübelt haben, drehten Sie Ihren Sessel um und setzten sich mit der Lehne vor Ihnen darauf und umarmten sie... (lacht) Dann, als ob Sie einen Funken Inspiration gehabt hätten, sagten Sie "Wir holen Hatena ins Boot".

Iwata:

Ach ja, das stimmt. (lacht)

Koizumi:

Dann fügten Sie hinzu, fast schon, als ob Sie mit sich selbst reden würden, "Das wäre cool. Das wäre wirklich cool". Wir wussten nicht, wovon Sie da redeten. (lacht)

Iwata:

Ich war wohl in meiner eigenen Welt vertieft?! (lacht)

Alle:

(lachen)

Iwata Asks
Koizumi:

Ich glaube, in diesem Moment haben sich sehr viele Ideen in Ihrem Kopf plötzlich zu einem Ganzen verbunden.

Iwata:

Ich habe Mochio Umeda4, ein externes Mitglied des Vorstands von Hatena, circa dreimal getroffen. Ich wusste, dass ihr Forschungs- und Entwicklungsteam nach Kyoto gezogen ist und dachte mir, wenn sich mal die Gelegenheit bieten würde, könnten wir gemeinsam etwas Interessantes auf die Beine stellen.

Unsere Abteilung für Netzwerkentwicklung hat bereits lose mit ihnen zusammengearbeitet, aber ich war der Meinung, es wäre langweilig, würde es nur bei einer gelegentlichen Geschäftspartnerschaft bleiben. Ich fragte mich immer wieder, ob wir nicht irgendetwas Revolutionäres zusammen machen könnten. Gerade dann fiel mir dieses neue Projekt in meinen Schoß und die zusammenhanglosen Ideen haben zu einem Ganzen gefunden.

4Mochio Umeda: Autor des Bestsellers "Web Shinkaron" ("Web-Evolutionstheorie"). Präsident von MUSE Associates und Vorstandsmitglied von Hatena.

Koizumi:

Shigeru Miyamoto sagt immer: „Eine richtige Idee löst mehrere Probleme auf einmal". Ich glaube, das war so eine Idee.

Iwata:

Und ich saß wirklich rückwärts in meinem Stuhl? (lacht)

Koizumi:

Das war vielleicht ein Anblick!

Iwata:

Ja, jetzt erinnere ich mich. (lacht)