4. ''Bioreal''

Iwata:

Um noch einmal aus einer anderen Richtung zu fragen: Was ist Ihrer Meinung nach die "Essenz von 'Resident Evil'?"

Nakanishi:

Hmm ... Ich arbeite ja schon seit 15 Jahren an dieser Spielereihe mit, und das ist nicht leicht zu sagen. Viele verschiedene Leute haben an unterschiedlichen Teilen der Reihe gearbeitet und alle haben erfolgreich ihre eigenen Ansätze eingebracht ...

Iwata:

Deswegen können wir bei Nintendo auch nicht einfach in einem Satz sagen, was die Essenz der Mario- oder Zelda-Spiele ist. Aber alle Mitglieder des Teams haben trotzdem ein gemeinsames Verständnis dafür, und wenn man ein wenig davon abweicht, merken alle sofort: "Das passt nicht zu Mario" oder "Das ist nicht typisch für Zelda."

Nakanishi:

Also, ich kann dazu zwei Dinge nennen. Ein Punkt ist, dass "Resident Evil" ein "Survival-Horror-Spiel" ist. Das habe ich schon als Spieler als bahnbrechend empfunden und als Basis für die "Resident Evil"-Spiele angesehen. Bei der Entwicklung des neuen Spiels haben wir uns die Vorgängertitel in der Reihe angesehen und die Elemente betrachtet, die die Reihe zu einer Survival-Horror-Serie machen. Der andere Punkt wird durch ein erfundenes Wort ausgedrückt, das wir traditionell in der Firma verwenden.

Iwata:

Traditionell? (lacht)

Nakanishi:

Ja. Das Wort ist "bioreal". Es bedeutet: realistisch im Rahmen der "Biohazard (Resident Evil)"-Reihe. Was wäre denn ein gutes Beispiel dafür?

Takenaka:

Viren. Wenn etwas Neues passiert, kann man es durch eine Mutation der Viren erklären. Das ist noch bioreal. Aber wenn z. B. einfach ein Gespenst auftauchen würde, wäre das unpassend.

Iwata Asks
Iwata:

Ah, die Zombifizierung wird also immer durch einen Virus ausgelöst. Und die Toten können nicht durch andere Dinge wieder belebt werden, z. B. Flüche oder Magie, richtig?

Takenaka:

Genau.

Nakanishi:

Wenn wir uns eine Idee für das Skript oder die Level überlegen, hört man oft: "Das ist nicht biorealistisch!" Aber kann man wirklich objektiv sagen, wo da die Grenze ist?

Takenaka:

Vielleicht geht es einfach darum, Schritt für Schritt auf erfundenen Elementen aufzubauen. Zuerst gibt es einen Virus, dann eine kleine Mutation, und dann tauchen plötzlich diese schrecklichen Kreaturen auf. Ich denke, "bioreal" bedeutet, die Handlung nach und nach so aufzubauen, dass die unrealistischen Elemente doch glaubhaft wirken.

Iwata:

Die Handlung funktioniert sehr schlüssig, und selbst wenn am Ende eine Menge unglaublicher Dinge passiert, stellt das für die Spieler keinen plötzlichen Stilbruch dar.

Nakanishi:

Aber wo wir die Grenze ziehen, kann sich im Lauf der Entwicklung ändern. Wir haben dazu anfangs ein Meeting, aber am Ende der Entwicklung sagen wir meistens: "Das übernehmen wir auch noch, und das, und das auch!" Ich denke also, dass wir die Grenze ziemlich intuitiv ziehen.

Suzuki:

Aber wir verwerfen ja schon Ideen, weil sie nicht bioreal sind. Es muss da also schon einen Maßstab geben.

Iwata Asks
Kawata:

Aber wir wollen auch nicht den Fehler machen, uns so sehr auf den Biorealismus zu konzentrieren, dass wir immer wieder dasselbe machen. Obwohl die Spielreihe sich in viele Richtungen entwickelt hat und der Spielablauf verändert wurde, gibt es schon einen thematischen Kern, den wir seit 15 Jahren beibehalten. Es gibt die Reihe schon lange und deshalb hat jeder auch seine eigenen Vorstellungen dazu, aber die Essenz von "Resident Evil" - die Viren, ein unheimlicher Schauplatz, und der Kampf gegen Zombies oder andere Kreaturen - hat sich nicht verändert. Ich denke, wir übergeben "Resident Evil" immer aus den eigenen Händen in die der Spieler. Selbst wenn wir drastische Veränderungen vornehmen möchten, müssen wir bis zu einem gewissen Grad die Vorstellung bedienen, die die Spieler von "Resident Evil" haben. Dieser Austausch mit den Spielern ist sehr interessant.

Iwata:

Man will ihre Erwartungen auf positive Art "enttäuschen". Es ist also sehr wichtig, dass wir das richtige Gleichgewicht finden. Sie sollen ja nicht denken: "Damit hätte ich niemals gerechnet! Das ist ja schrecklich!", sondern: "Damit hätte ich niemals gerechnet! Das ist ja total cool!"

Kawata:

Richtig. Unser Ziel war es diesmal, zu den Horror-Ursprüngen der Reihe zurückzukehren, aber das Spielsystem ist trotzdem ganz neu. Wir wollten alle bisherigen Kritikpunkte berücksichtigen und beseitigen. Das Spiel entstand als Ergebnis aller vorhergegangenen Schritte, und die Basis des Ganzen ist die Essenz von "Resident Evil", die wir nur sehr grob benennen können.

Iwata:

Was meinen Sie dazu, Mr. Hori?

Hori:

Mal sehen ... Ich habe in den letzten zehn Jahren natürlich auch schon darüber nachgedacht. Wenn ich es konkretisieren sollte, würde ich die Grenze wahrscheinlich bei der Art von Horror ziehen, die Spuk, Gespenster und übertriebene Gewalt einschließt.

Iwata Asks
Iwata:

Diese Grenze setzen Sie sich also selber.

Kawata:

Aber im Vergleich mit den anderen Charakteren hat Rachel diesmal eine etwas andere Präsenz. Sie ist ein wenig wie ein Geist, fast nicht wie ein normaler "Resident Evil"-Charakter, aber ich finde, sie ist eine frische neue Figur, die wirklich gut gelungen ist.

Nakanishi:

Ja. Und das ist eine der Sachen, die sich ein wenig von der "Resident Evil"-Essenz abheben sollten.

Hori:

Aber ich denke eh, dass jeder Mitarbeiter sein eigenes Gefühl zu "Resident Evil" hat.

Iwata:

Es gibt bestimmt viele Überschneidungen, aber es ist natürlich unmöglich, dass alle genau dieselbe Vorstellung von der Essenz von "Resident Evil" haben.

Iwata Asks
Nakanishi:

Ja ... und das betrifft auch den Biorealismus. Da sagt auch jeder einfach seine persönliche Meinung! (lacht)

Hori:

Ich habe z. B. keine starke Meinung zum Thema Horror, deshalb behalte ich bei der Arbeit an den Spielen immer Spukhäuser im Kopf.

Iwata:

Oh, das ist also Ihr Konzept vom Level-Design.

Hori:

Richtig. Und Mr. Suzuki hat z. B. bei der Arbeit am Sound auch seine eigenen Ideen im Kopf, denke ich.

Kawata:

Deshalb wurde diesmal auch seine Idee mit der Pianomusik umgesetzt. Wie ich vorhin schon erwähnt habe, war ich davon zuerst auch etwas überrascht.

Suzuki:

Das war einfach der erste Gedanke, der mir dazu intuitiv kam. (lacht) Wenn die Musik zu freundlich gewesen wäre, hätte sie den Horror nicht unterstützt; dieses Gleichgewicht war also sehr wichtig. Ich habe mit der Musik eine klassische Atmosphäre angestrebt, mit der ich gleichzeitig etwas Neues probieren wollte.