1. Alles begann 1984

Iwata:

Ich möchte mich zunächst bei Ihnen bedanken, dass Sie sich heute mit mir treffen.

Nakago/Tezuka:

Sehr gerne.

Iwata:

Sie beide gehen mit Mr. Miyamoto mehr oder weniger regelmäßig essen. Manchmal schließe ich mich Ihnen an, das bedeutet also, dass wir viel Zeit miteinander verbringen. Es ist jedoch das erste Mal, dass wir uns in einem solch förmlichen Rahmen treffen. Obwohl es die Iwata fragt-Interviews schon seit einer Weile gibt, ist es das erste Mal, dass einer von Ihnen tatsächlich daran teilnimmt, trifft das nicht insbesondere auf Sie zu, Mr. Tezuka?

Tezuka:

Das ist richtig! (lacht)

Iwata:

Ich habe schon immer vermutet, Sie könnten möglicherweise denken, hinter diesen Interviews würde ein Hintergedanke stecken. (lacht)

Tezuka:

Nun ja, ich habe immer gedacht, es wäre besser, wenn ich mich aus diesen Gesprächen heraushalten würde. (lacht)

Iwata:

(lacht) Ich habe Sie aber gebeten, an diesem Interview teilzunehmen, weil ich das Gefühl hatte, es wäre unmöglich, über die Geschichte von Mario zu sprechen, ohne die großen Drei, die dahinter stecken, zu befragen: Mr. Miyamoto, Mr. Tezuka und Mr. Nakago. Warum stellen Sie sich unseren Lesern nicht kurz vor und erklären uns die Rollen, die Sie innehaben.

Tezuka:

Ich arbeite als Producer in der Abteilung "Entertainment Analysis and Development" zusammen mit Shigeru Miyamoto an der Beaufsichtigung aller Aspekte der Spielentwicklung.

Iwata:

Sie sind also der Leiter der Abteilung für Softwareentwicklung.

Tezuka:

Genau. Meine offizielle Position lautet General Manager der Abteilung für Softwareentwicklung (EAD).

Iwata:

Als Sie zum General Manager der Abteilung befördert wurden, war ich sehr glücklich, da es das erste Mal war, dass der General Manager dieser Abteilung jünger war als ich.

Tezuka:

Ach, wirklich? (lacht)

Iwata:

Sie haben seit Beginn Ihrer Firmenzugehörigkeit an der Seite von Mr. Miyamoto gearbeitet, nicht wahr?

Tezuka:

Das ist richtig. Ich bin 1984 dazugestoßen, das macht dann 25 Jahre...

Iwata Asks
Iwata:

Sie haben also nach dem Erscheinen des Famicom-Systems1 angefangen. 1 Das Famicom-System, außerhalb Japans als Nintendo Entertainment System bekannt, war eine Spielkonsole für den Heimgebrauch, die im Juli 1983 auf den Markt gekommen ist.

Tezuka:

Richtig.

Iwata:

Ihr Timing könnte besser nicht sein!

Tezuka:

(lacht)

Nakago:

Ich kann mich noch genau an den ersten Arbeitstag von Mr. Tezuka erinnern. Mr. Miyamoto hat ihn durch das Büro geführt, um ihn allen vorzustellen. Damals war Mr. Tezuka noch richtig schlank... (lacht)

Iwata:

Sie waren früher in der Tat richtig schlank! (lacht) Also, ich habe ja gut reden...

Tezuka:

(lacht)

Nakago:

Damals waren Sie, Mr. Tezuka, der Neue in der Firma. Nun kennen wir uns schon seit über 25 Jahren... (lacht)

Tezuka:

Ja, richtig.

Iwata:

Mr. Nakago, Sie sind an der Reihe.

Nakago:

Ich bin derzeit der Präsident von SRD2. Ursprünglich habe ich bei Nintendo angefangen, um bei der Programmierung für das Famicom-System zu assistieren. Seitdem hatte ich stets das Glück, an der Arbeit von Nintendo-Produkten beteiligt gewesen zu sein. 2 SRD CO, LTD. ist ein 1979 gegründet Unternehmen, das sich auf die Programmierung von Videospielen und auf die Entwicklung und den Vertrieb von CAD-Paketen (Computer-unterstütztes Design) spezialisiert. Der Firmensitz ist in Osaka – das Kyoto-Büro befindet sich im Hauptquartier von Nintendo.

Iwata Asks
Iwata:

Wie kamen Sie dazu, für Nintendo zu arbeiten?

Nakago:

Den Job, den ich ursprünglich bei SRD gemacht habe, hatte überhaupt nichts mit der Entwicklung von Videospielen zu tun. Ich habe vielmehr an der Programmierung von Software für Bürokalkulationen gearbeitet, die auf standardmäßigen PCs zum Einsatz kamen.

Iwata:

Sie haben an Anwendungen wie etwa dem Steuerungssystem gearbeitet, also waren Sie eher an der geschäftlichen Seite des Unternehmens beteiligt. Wie kam es dann zur Entwicklung von Videospielen?

Nakago:

Mein Debütprojekt für Nintendo war die Arbeit am 6502-Chip3, den Ricoh für das Famicom-System entwickelt hatte. 3 Der 6502-Chip wurde durch seinen Einsatz in der CPU der Apple II-Heimcomputer berühmt. Die Famicom-CPU war eine speziell entwickelte Version dieses Chips.

Iwata:

Das war die CPU, der Prozessor des Famicom-Systems, nicht wahr?

Nakago:

Genau. Zu der Zeit hat Nintendo Programmierer gesucht, die sich mit dem 6502 auskannten.

Iwata:

Ja, das stimmt. Als ich Nintendo damals zum ersten Mal besucht habe, kann ich mich an meine Gedanken erinnern: "Es könnte gut und gerne sein, dass ich derjenige bin, der sich hier am besten mit dem 6502 auskennt!" (lacht)

Nakago:

Man hat mir gesagt, Nintendo würde einen neuen Chip entwickeln und sie würden gleichzeitig neue Programme dafür entwickeln wollen. So kam es dazu, dass ich am Famicom-System gearbeitet habe. Ich habe also meine Zusammenarbeit mit der Forschungs- und Entwicklungsabteilung 2 (Research and Development 2, R&D2) angefangen.

Iwata:

R&D2 wurde später in die Abteilung "Software Planning and Development" integriert, doch damals war diese Abteilung verantwortlich für die Entwicklung von Hardware und Software für das Famicom- und Super Famicom-System4. 4 Das Super Famicom-System war der Nachfolger der Famicom-Spielkonsole. Es erschien in Japan im November 1990.

Nakago:

Das stimmt. Ich habe an einer Reihe von Titeln mit R&D2 zusammengearbeitet, darunter "Donkey Kong"5, das gleichzeitig für das Famicom-System erschienen ist, "Donkey Kong Jr."6, "Mahjong"7 und "Donkey Kong Jr. Math"8. 5 "Donkey Kong" war das erste Spiel, das Shigeru Miyamoto entworfen hat. 1981 in Arcade-Hallen erschienen, kam der Titel 1983 auch für das Famicom-System auf den Markt. 6 "Donkey Kong Jr." erschien 1982 als Arcade-Version und wurde 1983 für das Famicom-System umgesetzt. 7 "Mahjong" erschien im August 1983 für das Famicom-System. Mah-Jongg ist ein chinesisches Brettspiel, das auf Spielsteinen, sogenannten Ziegeln, basiert. 8 "Donkey Kong Jr. Math" war ein unterhaltsames Bildungsspiel, das im Dezember 1983 für das Famicom-System erschien.

Iwata:

Ihre Arbeit bestand also darin, Arcade-Spiele wie "Donkey Kong" für das Famicom-System umzusetzen?

Nakago:

Genau. Als wir diese Aufgabe erledigt haben, ist jemand hinter mir aufgetaucht und hat gesagt: "Sie sind doch Mr. Nakago, nicht wahr?" Wie sich herausstellte, war dieser jemand Mr. Miyamoto.

Iwata:

Obwohl Sie also "Donkey Kong" für das NES umgesetzt haben, kannten Sie Mr. Miyamoto gar nicht? (lacht)

Nakago:

Ehrlich, ich wusste nichts über ihn! (lacht) Ich wusste zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal, dass jemand mit dem Namen Miyamoto in der Firma arbeitete. Dann ist er auf mich zugekommen und hat gesagt: "Wir werden an " Excitebike "9 zusammenarbeiten." 9 "Excitebike" war ein seitlich scrollendes Rennspiel, das im November 1984 für das Famicom-System erschien.

Iwata:

"Excitebike"? Seit wie vielen Jahren arbeiten Sie dann mit Mr. Miyamoto schon zusammen?

Iwata Asks
Nakago:

Knapp über 20 Jahre.

Iwata:

Doch sicher mehr als das, oder?

Nakago:

Ja, stimmt, es werden wohl so um die 25 Jahre sein. Sofort nach "Excitebike" und " Ice Climber "10 wurde ich auf die Serien "Super Mario Bros." und "Zelda" angesetzt. 10 "Ice Climber" war ein Action-Spiel, das im Januar 1985 für das Famicom-System erschien.

Iwata:

Ich werde Sie gleich dazu befragen, was alles geschehen ist, als Sie für die Arbeit an der "Super Mario"-Serie abgestellt wurden. Doch wenn ich mich recht entsinne, bin ich Ihnen noch davor begegnet.

Nakago:

Das ist richtig. Was ich ganz besonders niemals vergessen werde, ist Ihre Hilfe bei " Balloon Fight "11. 11 "Balloon Fight" war ein Action-Spiel, das 1984 als Arcade-Version erschien. Im Januar 1985 wurde es für das Famicom-System umgesetzt.

Iwata:

Ach ja! Zu dieser Zeit gab es eine Arcade-Platine die Nintendo Vs. System 12 genannt wurde und die das gleiche Chipset verwendet hat wie das Famicom-System. 12 Nintendo Vs. System war eine Platine für Arcade-Automaten, die speziell entwickelt wurde, um mit dem Famicom-System kompatibel zu sein. Zahlreiche Titel, darunter "Balloon Fight" und "Excitebike", wurden sowohl als Famicom- als auch Arcade-Version veröffentlicht.

Nakago:

Das berüchtigte Vs. System! Da kommen Erinnerungen auf! (lacht)

Iwata:

Es gab jede Menge Titel, die für Arcade-Automaten und das Famicom-System entwickelt wurden. HAL Laboratory hat an der Konsolenversion von "Balloon Fight" gearbeitet, während SRD...

Nakago:

Wir haben an der Arcade-Version gearbeitet. Nachdem wir diese fertig gestellt hatten, haben wir uns gefragt, wie es sein kann, dass die Spielerbewegungen auf der Konsolenversion, die HAL entwickelt hatte, geschmeidiger ausgesehen haben. Deshalb haben wir Mr. Iwata gebeten, uns ein paar Tipps zu geben.

Iwata:

Das war, als ich Mr. Nakago alles erzählt habe, was ich wusste. Eine Empfehlung von mir war, man sollte die Position der Spielfigur nicht mit Ganzzahlen berechnen, sondern bis auf die Dezimalstellen genau. Auf diese Weise konnte man Schwerkraft, Auftrieb, Beschleunigung und Abbremsung präziser berechnen, wodurch die Bewegungen geschmeidiger wirkten. Das habe ich damals erklärt.

Nakago:

Als mir Mr. Iwata diese Dinge erklärt hat, ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen! (lacht) Aber ich erinnere mich auch, dass Mr. Miyamoto sich beschwert hat: "Warum müssen Sie zu einer anderen Firma gehen, um solche Dinge in Erfahrung zu bringen?" (lacht)

Iwata:

Dabei war ich sehr erfreut, dass man gefragt hat.

Nakago:

Wirklich? (lacht)

Iwata:

Nun ja, ich hatte gehofft, dass es sich als nützlich erweisen würde, und ich glaube, das hat es auch, vor allem als Sie an "Super Mario Bros." gearbeitet haben.

Nakago:

Ja, es hat sich als unheimlich nützlich erwiesen. Marios Bewegungen in den Unterwasser-Leveln sehen nur dank Ihrer Tipps so geschmeidig aus.

Iwata Asks
Iwata:

Ich war an einer Vielzahl von Software-Projekten beteiligt, als ich bei HAL Laboratory gearbeitet habe, aber ich dachte immer: "Die Mario-Serie ist die einzige, zu der ich nichts beigesteuert habe." Wie sich aber herausstellte, hat das, was ich Mr. Nakago vor vielen Jahren erzählt habe, dafür gesorgt, dass ich indirekt an einem Mario-Titel beteiligt war. Als ich das herausgefunden habe, war ich sehr glücklich! (lacht)

Nakago:

(lacht)

Iwata:

Nur aus Interesse, wie alt waren Sie, als ich Sie 1984 zum ersten Mal getroffen habe?

Nakago:

Damals war ich wohl 26 Jahre alt. Mr. Miyamoto ist fünf Jahre älter als ich, also muss er wohl 31 gewesen sein.

Iwata:

Damals war ich 24. Wie steht's mit Ihnen, Mr. Tezuka?

Tezuka:

Nun ja, ich war mit 23 der Grünschnabel.

Iwata:

Wir waren noch so jung, nicht wahr? (lacht)

Alle:

(lachen)